Harry

„Mein Name ist Harry“

Es war kalt und beklemmend. Ich kam nicht mehr raus.
Diesmal war ich schneller als Mutter. Schon immer wollte ich alles erkunden und am liebsten gleich. Mutter kam mir diesmal nicht mehr schnell genug hinterher, sonst hätte sie mich wohl wieder im Nacken gepackt und zurückgebracht. Sie musste schließlich auch auf die anderen von uns ein Auge haben.

Verlaufen, niemand hörte mich. Ich steckte fest. So sehr ich mich auch anstrengte, ich saß bloß noch tiefer in diesem Loch fest. Ich versuchte zu schreien, doch es war so eng, dass ich dazu nicht genug Luft bekam.

Wo war ich? Ich sah große Wesen mit runden Füßen und hellen Augen an mir vorbei ziehen, ich rief – doch sie hörten mich einfach nicht. Ich schaute in alle Richtungen, es wurde dunkel.
Kälte. Wie konnte ich hier nur hineingeraten? Warum kam ich hier nicht raus?
Es wurde hell, ich rief noch immer aber hörte es schon selbst nicht mehr. Sollte ich nun für immer hier bleiben?
Ich bekam Hunger, wo waren meine Beine?
Nasses Laub. Regen. Zumindest für Trinken war gesorgt.
Da kam etwas großes – endlich. Es blieb vor mir stehen. Mutter nannte sie die „Menschen“. Sie gehen nur auf den Hinterläufen und haben anstelle von kuschligem Fell viele Lagen von Überhängen. Seltsame aber nützliche Wesen. Ich versuchte mich zu Strecken um nach oben zu schauen. Mein Rufen klang nach einem heiserem quietschen.
Es beugte sich herunter. Wenig später erschien im Hintergrund in großes Ungetüm mit Leuchten auf dem Rücken das mit fürchterlichem Gebrüll immer näher kam. Hätte ich so laut rufen können, hätte mich bestimmt sofort jemand gehört.
Es blieb stehen. Aus ihm kamen noch mehr Menschen, sie trugen ganz bunte Überhänge mit silbernen Streifen. Sie schienen wegen mir gekommen zu sein. Ich war so glücklich, konnte mich aber nicht bewegen.
Sie beugten sich alle runter zu mir und schauten mich mit ihren vielen Augen direkt an. Sie sagten ganz oft so etwas wie „Gulli“ und „kompliziert“. Was das nur bedeutet?
Einer traute sich näher ran. Er trug ebenfalls einen bunten Überhang mit schönen leuchteten Streifen.
Er sagte etwas in einer Sprache, die ich nicht kannte. Ich weiss nur, dass es sich zuversichtlich anhörte. Seine haarlose Pfote streichelte meinen Kopf zwischen den Ohren. Ich wusste – jetzt wird alles gut.
Er hob mich unter den Armen an und zog – autsch! Ich sitze offenbar sehr fest. Noch einmal, mal mit Drehung.

Frei!

Mein Retter-Mensch. Ich sah ihn an und er nahm mich auf seinen Arm. Wieder streichelte er mich zwischen den Ohren, ich schnurrte. Er machte weiter, das merkte ich mir.
Jetzt kamen alle anderen, sie sprachen miteinander aber nicht mit mir. Egal, ich wurde gestreichelt und lag auf einem weichen Arm – ganz nah an dem leuchtenden Streifen.
Nach dem mich jeder streicheln durfte löst sich die Menge nun auf. Sie hörten auf zu reden. Wohin gingen Sie? Wohin würde ich gehen?
Mein Retter-Mensch nahm mich mit zu dem Ungetüm aus dem sie alle gekommen waren. Wir nahmen in ihm Platz. Seltsam, es wehrte sich nicht und hat auch nicht mehr gebrüllt. Es musste wohl ein Freund der Menschen sein. Was so etwas großes wohl frisst? Ich habe Hunger.
Wir bewegten uns. Es gefiel mir nicht, doch der Arm auf dem ich lag vermittelte mir Geborgenheit.
Mal schnurren, vielleicht werde ich dann noch mal gestreichelt.
Nach einer Weile hielten wir an. Wieder öffnete sich das Ungetüm und mein Retter-Mensch trat mit mir heraus. Ich sah ein Haus in dem Licht brannte.
Wir gingen hinein, er trug mich weiter. Es war warm. Ganz viele Menschen kamen und schauten. Sie waren sehr lieb zu mir.
Ich wurde von Arm zu Arm gegeben, es fühlte sich geborgen an.
Ein Mensch kam plötzlich mit einem Ding auf mich zu, was ich bisher noch nicht kannte. Ich war verängstigt über seine Größe und sein forsches Näherkommen, doch es stellte sich schnell heraus, das es mir nur Milch anbieten sollte. Sie schmeckte fast so gut wie bei Mutter, köstlich. Es schien auch die Menschen zu freuen, dass ich trank.

Sie schauten mich anschließend aus allen Winkeln an und machten etwas an meinem Hintern was sonst nur Mutter machte. Da Mutter nicht da war und es ja jemand machen musste, war ich einverstanden.
Ich wurde müde. Man brachte mich in einen großen Raum mit vielen Ebenen zum Klettern, einem Platz zum Schlafen und zu trinken. Ich schloss die Augen und schlief schnell vor Erschöpfung ein.
Das entfernte Gebelle von Hunden war mir egal, sie schienen weit weg zu sein.
Am nächsten Morgen wurde ich früh wach und bekam nach kurzem rufen wieder Milch angeboten. Man streichelte mir sogar über den Bauch. Alle waren so lieb gewesen, lag es an meinen Augen oder dem Schnurren?
Einige Tage vergingen, ich hatte alles was ich brauchte. Mir ging es gut. Immer wieder sagten die Menschen „Harry“ zu mir, während Sie mir dabei tief in die Augen sahen. Nennt man mich so?
Mittagszeit. Wieder wurde ich gefüttert. Ich war müde und durfte am Hals meines Lieblings-Menschen einschlafen. Ich freute mich jeden Tag auf Futter und die Geborgenheit. Ich bin in Sicherheit.

Mein Name ist Harry – und ich bin gerettet.

Wochen vergingen, offenbar war ich hier nicht die einigste Katze. Nebenan gab es noch weitere wie mich, auch sie bekamen Futter und Besuch von den Menschen.
Alles war gut, doch je mehr ich wuchs stellte sich heraus, dass ich anders als andere Katze war. Beim spielen im Gang verspotteten sie mich wegen meines Hinterns und meines herunterhängenden Schwanzes.
Mein Hintern überraschte mich immer wieder aufs neue. Sobald ich ihn sauber gemacht hatte (das lege ich sehr viel Wert drauf) war er auch schon wieder dreckig. Wo kam das nur immer her? Wieso kann ich das nicht kontrollieren wie die anderen?
Aber auch hierfür haben die Menschen eine Lösung. Sie ziehen mir eine weiße Tüte über den Hintern. Sie nennen das Pampers. Es sammelt das alles für mich auf. So sehen es die andern nicht und wir können ganz normal miteinander spielen.
Leider kann ich meinen Schwanz noch nicht so schön aufstellen oder heben wie die anderen. Das sieht bei denen immer so toll aus, das will ich auch können. Hier muss ich wohl noch etwas üben.
Weitere Wochen vergingen, ich beobachtete wie manche meiner Spielkameraden von Menschen abgeholt wurden und nicht wieder kamen. Die Menschen mit denen sie mitgingen sprachen dabei immer von „Zuhause“ und alle sahen dabei froh aus. Gab es da noch mehr? Was ist dieses Zuhause?
Ich wollte es wissen! Bei fremden Menschen bin ich immer sofort an die Scheibe gerannt und habe geschaut, ob Sie Zuhause sagen und abgewartet ob ich mitgehen darf.
Wieder ein Besuch, offenbar fanden die Menschen meine Pampers interessant, nahmen aber trotzdem lieber einen Nachbar mit. Seltsam.
Eines Tages kamen zwei neue Menschen zu meinen Raum. Offenbar hatten Sie nach mir gesucht.
Sie wurden zu mir geführt und ich hörte wie sie die Worte „Harry“, „Pampers“ und „Zuhause“ sagten. Meine Tür öffnete sich und ich stürzte raus. Ich tobte über den Flur und zeigte mich von meiner besten Seite. Wie gut dass ich diesmal keine Pampers trug, das hat schon mal verstörend gewirkt. Schlecht war nur, dass mein Hintern an diesem Tag wieder sein Eigenleben hatte.
Die Menschen beugten sich zu mir runter und sie streichelten mich. Offenbar störte es sie nicht. Ich hörte meinen Namen sehr oft. Sie ließen mich im Flur zurück und ich wartete.
Nach einer Zeit kam ein vertrauter Mensch und machte mir eine frische Pampers. Ich wurde in eine Kiste gesetzt und durfte den Flur verlassen. Durch die Löcher in der Kiste sah ich alles um mich herum. Ich war aufgeregt und gespannt was als nächstes passieren würde. Man brachte mich zu den beiden Menschen, die mich gerade eben besucht haben. Offenbar sollte ich mit Ihnen mitgehen. Aber wozu die Kiste? Ich habe doch Beine!
Sie trugen mich mitsamt der Kiste nach draussen. Auch sie hatten ein Ungetüm, allerdings viel kleiner. Wir nahmen Platz und fuhren sehr lange. Zwischendurch hörte ich sehr viele Stimmen, sie klangen schön und vor allem melodisch.
Wir hielten an. Wir stiegen aus und gingen in ein Haus, indem auch andere Katzen in Kisten saßen.
Nach kurzer Zeit gingen wir mit einem neuen, grauhaarigen Menschen in einen separaten Raum.
Wegen ihm waren wohl alle hier. Ich kam aus der Box und der Mann gegrüßte mich. Anschließend wollte er scheinbar alles an mir sehen. Sogar in den Mund und in die Ohren hat er geguckt. Plötzlich drückte er mir etwas in den Rücken, es brannte fürchterlich und ich schrie ganz laut. Darauf ein weiteres Mal, war aber nicht mehr ganz so schlimm. Wozu sollte das gut sein?
Wie einst die Pampers, so haben die Menschen Lösungen für sehr viele Dinge die mir zu Beginn seltsam erscheinen, doch dieser Grund liess noch auf sich warten. Der grauhaarige Mensch sah so nett aus, könnte er mir etwas böses wollen?
Geschafft, ich durfte wieder ein meine schützende Kiste. Wohin jetzt?
Wieder stiegen wir in das Ungetüm, es hatte vor dem Haus auf uns gewartet. Es brachte uns nicht weit weg zu einem neuen Haus. Die Tür öffnete sich. Ich wurde mit meiner Box im Flur abgestellt, während die Menschen Ihre Umhänge ablegten. Schon komisch, Fell ist doch viel praktischer.
Aus einem weiteren noch dunklen Raum sah ich zwei unbekannte Katzen auf mich zukommen. Sie schienen interessiert an mir zu sein. Die eine war ununterbrochen am fauchen, was bei uns Katzen normal ist. Der andere, ein großer Kater, hatte offenbar große Angst vor mir und hielt Abstand.
Man brachte mich die Treppe rauf in einen neuen, sehr großen Raum. Hier wartete bereits bekanntes Spielzeug auf mich. Ich durfte aus meiner Kiste rauskommen und mir alles ansehen. Ich hatte den Eindruck als schien hier alles für mich zu sein. Mein eigenes Reich. Wieder sagten Sie meinen Namen und das Wort auf das ich so lange gewartet hatte.

Mein Name ist Harry – und ich bin zuhause.

Für Harry ist die Welt ein Abenteuer – auch mit Handicap.Im Weiteren gibt es Auszüge mit Bildern, die Harry‘s Werdegang in seiner Pflegestelle zeigen.

Wickeln

Damit nichts daneben geht trägt Harry eine Windel. Das sieht im ersten Moment etwas sonderbar aus, erfüllt aber voll und ganz seinen Zweck und hindert ihn nicht beim spielen oder herumtoben.
Beim Wickeln hält er erstaunlich still und lässt alles auf dem Rücken liegend mehrmals täglich über sich ergehen.
Harry kann mittlerweile dank der andauernden medizinischen Behandlung gezielter sein Geschäft verrichten oder wartet, bis man ihn ins Katzenklo setzt oder die Windel abnimmt. Auch der Schwanz regt sich langsam. Ein wichtiger Schritt in ein windelfreies Leben.

Putzen

Harry ist sehr reinlich, er putzt sich mehrmals täglich und am liebsten selbst. Hintern und Schwanz gehören hierbei natürlich dazu!

Waschen

Wenn die Pampers mal versagt, hilft nur Katzenwäsche. Doch Harry ist alles andere als wasserscheu. Er lässt sich sogar föhnen und putzt sich dabei munter weiter. Wirklich pflegeleicht.

Kamin

Harry mag es warm – der Kamin hat auf ihn eine beruhigend und anziehende Wirkung.
Wenn‘s mal zu heiß bietet der Boden eine willkommene Abkühlung.

Kuscheln

Harry ist die meiste Zeit seines Lebens unter Menschen groß geworden und hat daher einen besonders starken Bezug zu Menschen. Aber auch mit andern Katzen kommt er nach kurzer Eingewöhnungsphase gut klar.

Schlafen

Katzen schlafen bekanntlich viel, Harry ist dabei keine Ausnahme. Am liebsten natürlich in bester Gesellschaft vor dem Kamin, auf dem Arm oder am Fußende des Bettes mit seinen Menschen.

Entdecken

Da für Harry ein normaler Haushalt eine völlig neue Erfahrung ist, wird jeder Gegenstand genauestens untersucht. Jeder Sprung ist ein Abendteuer.
Das Aquarium ist wie Fernsehen für ihn. Er beobachtet lange und aufmerksam das Geschehen unter Wasser und versucht ab und ab mit der Tatze am Glas nach einem Fisch zu greifen.

Spielen

Harry mag alles was sich bewegt. Egal ob es die Finger seiner Menschen sind oder eine Spielzeugmaus. Alles wird gefangen und anschließend verhört. Einfach goldig.

Text und Fotos: T.K.

Harry beim Osteopathen